Alle Jahre wieder bekommen die Medien in unseren Breiten in der Adventszeit ihr soziales Gewissen. Sie veröffentlichen zuhauf Spendenaufrufe, Aktionen der Barmherzigkeit und zu Herzen rührende Geschichten. Sie beklagen die Oberflächlichkeit der am Konsum orientierten Adventszeit und den überbordenden Vorweihnachtsrummel.
Romantische Weihnachtsmärkte mit Glühwein, Lebkuchen und allerlei Gebäck erzeugen landauf, landab in von Lichterketten umrandeten Holzbuden eine Heimeligkeit in die kurzen, hellen Tage und die langen, dunklen Nächte. Niemand denkt daran, dass unser christlicher Kirchenkalender, der hierzulande auch die an unser Schmuddelwetter angepassten Absatzmärkte bestimmt, auf der anderen Seite der Welthalbkugel auf Hochsommer mit langen Tagen und kurzen Nächten trifft, also überhaupt nicht dazu passt.
Wie abwegig müssen den asiatischen Arbeitern aus den Billiglohnländern jene Massenartikel vorkommen, die sie für unseren Weihnachtsrummel zu Spottpreisen herstellen?
Alles hierzulande scheint in dieser Vorweihnachtszeit auf Friede und Freude getrimmt zu werden, so, als komme in unserem Leben Leid und Trauer nur aus Versehen mal vor, was man möglichst rasch übertünchen muss. Wem das nicht gelingt, fühlt sich irgendwie schuldig, ob er nicht doch etwas falsch gemacht habe, weil er augenblicklich gar nicht glücklich sein könne und deshalb die Vorweihnachtsseligkeit der anderen störe. Entsprechend hoch sind in dieser Zeit die Selbstmordversuche jener, denen das nicht gelingt.
Dabei gibt es sehr gute Gründe, traurig zu sein: Privater oder beruflicher Streit, Unfall, Krankheit oder gar Tod eines Angehörigen oder Freundes, Verlust des Arbeitsplatzes, verpasste Gelegenheit oder einfach eine gefühlte Sinnlosigkeit im eigenen Dasein. Wir haben ein Grundrecht darauf, traurig zu sein. Es gehört zur Wahrheit und Wirklichkeit unseres Lebens. Diese adventliche Friede-Freude-Eierkuchenwelt ist eine Lebenslüge, die wir nicht durch noch so viele eingekauften Geschenke zudecken können.
Advent im christlichen Sinne ist das Warten auf einen Erlöser. Das setzt voraus, dass es etwas zum Erlösen gibt und ein Hoffen auf bessere Zeiten Sinn macht. So gesehen ist Unglücklichsein eine Kunst, die man lernen muss. Grauer Alltag will bewältigt sein. Trauer und Schmerz brauchen Raum und Zeit, Adventszeit, für den Einzelnen unterschiedlich lang, manchmal Jahre lang und nicht an die vier Wochen vor Weihnachten gebunden.
Dennoch macht es Sinn, gerade diesen vier Wochen eine symbolische Bedeutung für die Allgemeinheit zu geben, ein gemeinschaftliches Harren auf die Geburt eines Kindes, das nicht mit Glanz und Gloria in die Welt tritt, sondern dessen Leben mit bitterster Armut und Not beginnt und mit einem grausamen Tod am Kreuz endet.
Christen feiern dies im Sinne des Apostels Paulus, der in seinem Brief an Titus schreibt: „Als aber die Güte und die Menschenliebe Gottes, unseres Retters, erschien, hat er uns gerettet ... durch das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geist. Ihn hat er in reichem Maße über uns ausgegossen durch Jesus Christus, unseren Retter, damit wir durch seine Gnade gerecht gemacht werden und das ewige Leben erben, das wir erhoffen“ (Tit 3,4-7).
Diese tröstende Gewissheit in Gestalt eines Neugeborenen geschenkt zu bekommen, ist, kurz gefasst, das Wesen von Weihnachten. Die Adventszeit soll genau darauf einstimmen. Wenn Christen Advent feiern, leben sie damit auf etwas Letztes hin, wohl wissend, dass sie in ihrem irdischen Dasein im Vorletzten verharren.