Militärparaden wie in diktatorischen Staaten verraten viel über die eigentliche Gesinnung.
„Neuzeitliche Demokratien sind ein einziger Etiquettenschwindel“ wetterte Sommer für Sommer ein französischer Bekannter, wenn er sich zusammen mit einem Freund bei uns zum deutschen Bier oder französischem Rose einfand, immer eine seiner indonesischen Zigaretten mit Nelkengeschmack rauchend.
Wählen geht er nicht, kennt sich aber sehr gut in französischer Politik aus, an der er in unseren abendlichen Gesprächen meist kein gutes Haar ließ. Dabei zeigte sich seine hohe Belesenheit. Wessen Herz und Kopf voll ist, dessen Mund läuft über. So auch bei ihm, so dass ich ihm schon vor Jahren vorschlug, doch endlich eine Streitschrift zu seinem Herzensanliegen, einer Musterverfassung für eine wahre Demokratie, zu veröffentlichen.
Dieses Jahr nun legte ich ihm einen roten Faden vor, getippt auf meinem Notebook, wie er mir nach nächtlicher Diskussion mit ihm nachhallte. Er war ganz und gar nicht damit einverstanden, ging aber auf meinem Vorschlag ein, doch gemeinsam einen ersten Versuch zu starten. Fünf erste Seiten schafften wir, dann war sein Urlaub zu Ende. Dennoch hoffe ich, dass er die restlichen zwei oder drei Seiten nun allein in Angriff nimmt und nicht bis zum nächsten Sommerurlaub auf mich wartet. Während unseres Zusammenseins dämmerte mir, dass er einen vollständigen Neuentwurf einer solchen Musterverfassung im Kopf hat, ihn aber bis jetzt nie in Angriff nahm.
Ich will ihm den Inhalt ja nicht vorwegnehmen, doch so viel sei schon verraten. Er geht davon aus, dass eine große Mehrheit in den westlichen Ländern die französische Menschen- und Bürgerrechtserklärung vom 26. August 1789 als wesensbestimmend für eine Verfassung anerkennt.
Zwei Sätze dort haben es ihm besonders angetan: Die Unwissenheit über die Grundrechte ist die Wurzel des Elends des Volkes und die Korruptheit der Regierungen. Diese Unwissenheit entsteht durch fehlende Bildung und fehlende Information. Folgerichtig ergänzt er die Dreiteilung der Gewalten von Montesquieu, die Legislative, die Judikative und die Exekutive, die er sowieso nirgends in den neuzeitlichen Demokratien sauber voneinander getrennt erfüllt sieht, durch eine Autorität der Bildung, der Information und der Finanzkontrolle. Aus drei Gewalten entstehen somit sechs.
Artikel 16 dieser Menschen- und Bürgerrechtserklärung ist für ihn der Schlüssel seiner weiteren Überlegungen. Jede Gesellschaft, deren Verfassung weder die Rechte des Bürgers noch die Trennung der Gewalten garantiert, hat keine Verfassung im demokratischen Sinne. Überall dort, wo diese Zielsetzung verfehlt wird, herrscht kein wahre Demokratie. Nirgends auf dieser Welt sieht er diesen von ihm heiß ersehnten Demokratiebegriff verwirklicht. Im Gegenteil, so ist er überzeugt, haben die Mächtigen der angeblichen Demokratien dieser Welt es bestens verstanden, die eigentlichen demokratischen Rechte und Grundzüge raffiniert zu verschleiern, um sich ihren Machterhalt zu sichern. Beispiele führt er natürlich aus seinem französischen Umfeld an. Aber es ist ein Leichtes, in der eigenen Scheindemokratie ähnliche Machtmuster zu entdecken, was er sich weltweit als Aufgabe der politisch wachen Menschen wünscht.
Damit die sechs Gewalten wirklich unabhängig und getrennt von einander wirken können, schlägt er ein Führungsgremium aus jeweils neun Mitgliedern vor, von denen drei Mitglieder, die Fachkräfte auf diesem Gebiet sein müssen, vom Volk gewählt werden, drei weitere Fachkräfte vom gewählten Parlament und drei weitere Fachkräfte durch Los bestimmt werden.
Das genauere Zusammenspiel der Gewaltenteilung erspare ich mir hier und verweise auf den zukünftigen Text von Serge Cahuzac „ L‘escroquerie des démocraties modernes“.
So trocken sich sein Text auch liest, er ist äußerst bedenkenswert. Sollte sich dieses Gedankengut ausbreiten, könnte er vor allem in den westlichen Demokratien viele Mängel zum Guten wenden. Davon bin ich überzeugt.