Wie kommt man am besten von Georgien nach Armenien? Ganz einfach zu Fuß über die Grenze! Nachdem die Toilette auf georgischer Seite überraschenderweise umsonst war, bekam die Georgierin Tea noch ein nicht eingeplantes kleines Zusatztaschengeld, bevor sie unsere Reisegruppe an die Armeniern Narine Hoveshyan übergab. Der Bankautomat auf armenischer Seite streikte bei allen deutschen Karten, weil er einer russischen Bank gehörte. Hier holte uns der Krieg Russlands gegen die Ukraine zum ersten und einzigen Mal ein. Zum Glück gab es eine Wechselstelle, die unsere Notration an Euro schmälerte, was am Flughafen in Tiflis auch schon der Fall war. Der Vorteil von Wechselstellen ist manchmal, dass man für den nächsten Toilettengang schon etwas Münzgeld in der Tasche hat. Der vermeintliche deutsche Reisebus hinter der Grenze entpuppte sich als Gebrauchter aus dem Internethandel, dessen Stoßdämpfer glücklicherweise die ganze Rundreise durchhielten. Fahrtüchtig sind in Armenien auf dem Land alle Fahrzeuge, die noch nicht auseinandergefallen sind.
Als weiterer Vorteil entpuppte sich, dass in unserer Reisegruppe sechs Russlanddeutsche waren, die sich hervorragend als Dolmetscher oder Erklärer eigneten, wenn ich unsere Reiseführerin nicht belästigen wollte. Russisch scheint jeder Armenier zu beherrschen, Englisch nur das Personal an der Hotelrezeption. Mit dieser unerwarteten Hilfestellung bestellte ich an der Rezeption den notwendigen, dank meiner Zimmernummer kostenlosen Bademantel, wusste, dass ich im etwas weiter entfernten Schwimmbad beim Empfang rutschfeste Einmalsandalen und einen Schlüssel zu einem Kleiderschrank ausgehändigt bekommen werde. Umkleidekabine war der Flur vor den Schränken. Somit konnte ich im Nobelkurort Tsaghkadzor das zum Hotelkomplex gehörige Schwimmbad benutzen. Der Bankautomat im Hoteleingang schien die Bankfiliale für das ganze Tal zu sein.
Dass Armenien das Land der Aprikosen sein soll, ist an uns vollkommen vorbeigeglitten. Für uns war es das Land der sehr guten Rotweine, der weniger guten Biere und der allgegenwärtigen armenisch-apostolischen Kirche mit ihren vielen Klöstern und Kreuzsteinen.
Das Kloster Khor Virap mit Blick auf den schneebedeckten, auf türkischer Seite liegenden Fünftausender Ararat gilt als Wiege des Christentums in Europa. Entsprechend gestaltete sich das Programm des Reiseveranstalters mit Kloster- und Kirchenbesichtigungen und drei einzigartigen Musikdarbietungen, vom Volkslied über Kirchenchoral bis zur konzertanten Musik auf alten armenischen Musikinstrumenten. Durch Zufall erlebten wir zusätzlich einen ergreifenden, wunderschönen Gesang bei einer armenischen Eucharistiefeier im Inselkloster Sewanawank am Sewan-See, dem größten Gewässer im Kaukasus.
Der musikalische Höhepunkt für mich war jedoch, als bei unserem letzten Abendessen in Jerewan am Nebentisch eine Gruppe armenischer Lehrerinnen den Geburtstag einer Kollegin feierte. Alle Damen waren sehr festlich angezogen, ließen sich ein abwechslungsreiches Mahl servieren und tanzten anschließend begeistert auf armenische Popmusik, zu der eine kleine Musikgruppe mit ihren typisch armenischen Instrumenten aufspielte. Manche mögen über mich Kulturbanausen die Nase rümpfen. Mir ging diese Lebensfreude richtig zu Herzen.
Schon zu Sowjetzeiten gab es für den ländlichen Raum ein Förderprogramm für die Landbevölkerung mit Speisesaal und Toiletten für Reisegruppen, bei denen die Einheimischen ihre hervorragende rustikale Küche auftischen konnten. Wir waren heute noch Nutznießer davon, ein Genuss ohne Reue.
Den weindurchtränkten Käse einer noch jungen Käserei verspeisten wir im Hotelzimmer, zusammen mit einem Fladenbrot aus dem Supermarkt und einer Flasche Weißwein, die uns ein georgischer Winzer geschenkt hatte, weil wir zufällig bei unserer Einkehr dort unseren 44. Hochzeitstag hatten. War der Einkauf im Supermarkt für uns preiswert, muss er einheimischen Rentnern mit etwa 120 Euro monatlicher Rente fast unerschwinglich erscheinen. Wie in Georgien erstaunte mich das Preisgefälle. In irgendeinem Dorf hing vor einem kleinen Textilladen ein kurzärmliges Sommerhemd für umgerechnet etwa 1 Euro. Für diesen Preis bekam man an den Touristenständen bei den Sehenswürdigkeiten nicht einmal ein Flasche Mineralwasser.
Wie in Georgien sah man auf dem Land oberirdische Gasleitungen, der die einzelnen, mit einem Gaszähler ausgerüsteten Haushalte verband und mit russischem Gas versorgte. Die Freundschaft mit Russland wird sich bei einem diktierten Gaspreis in Grenzen halten.
Im armenischen Vulkanmassiv lagen die schwarzen Obsidiane zuhauf herum. Drei kleine Steine für unsere Enkel kamen ins Reisegepäck. Ein Blick ins Internet verriet, dass nicht nur Armenier diesem vulkanischen Glas eine Heilkraft zusprechen.
Das Kostbarste an Jerewan war für mich die berühmte Sammlung uralter Handschriften im Museum Matenadaran. Welches Gespür für Kultur, Schrift und Wissen müssen die so oft verfolgten Armenier gehabt haben, wenn sie allen Lebensgefahren zum Trotz diese Handschriften versteckten und so einmalige Kulturzeugnisse unter anderem auch ihre eigene Schrift vor dem Vergessen bewahrten! Ich hätte an ihrer Stelle wohl nur meine nackte Haut gerettet.
Charles Aznavour und Winston Churchill mögen mir verzeihen, armenischer Brandy, so weltberühmt er auch sein mag, ist nicht meine Welt. Ich ziehe armenischen Rotwein vor.
Kurz, eine Reise durch Armenien ist wie die Reise durch Georgien eine exotische Reise der Sinne. Kleiner Zusatztipp am Rande: Man nehme einen zu sich passenden Sexualpartner mit.
Die Heimreise steckte voller Pannen. Wir waren erst nach zwanzigeinhalb Stunden wieder glücklich zu Hause.
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