Laut Meinungsforscher träumen etwa neunzig Prozent der Heranwachsenden von einer lebenslangen Partnerschaft, wenn möglich mit Kindern, wohl wissend, dass solche Träume jäh zerplatzen können. Doch wer nicht wagt, auch nicht gewinnt.
In diesen Horizont der Sehnsucht knallt die neue Orientierungshilfe der EKD mit einer geradezu brutalen Nüchternheit und denkt die Ehe von ihrem möglichen Ende her: „In einem Traugottesdienst feiern wir mit dem Paar, mit Freunden und Familie, dass die beiden ‚sich getraut’, sich den gemeinsamen Weg zugetraut und ihr Leben anvertraut haben, und bitten um Gottes Segen für diese Entscheidung und die gemeinsame Zukunft – nicht mehr, aber auch nicht weniger.” Nicht mehr? Wirklich? Offen bleibt obendrein, ob es sich dabei überhaupt um ein heterosexuelles Paar handelt.
Da verschlägt es mir als katholischem Christ schlichtweg die Sprache. Wer demnächst vor den evangelischen Traualtar tritt, kann unbekümmert das Eheversprechen ablegen, auch wenn der Pastor sagt „bis dass der Tod euch scheidet“, ist das nicht länger wirklich ernst gemeint. Am besten ist, der Pastor lässt die bisherige Formulierung nun einfach ganz weg.
Warum verkündet die EKD eigentlich nicht gleich : „In einem Traugottesdienst feiern wir mit der Gruppe, mit Freunden und Anhang, dass die Gruppenmitglieder ‚sich getraut’, sich den gemeinsamen Weg zugetraut und ihr Leben anvertraut haben, und bitten um Gottes Segen für diese Entscheidung und die gemeinsame Zukunft – nicht mehr, aber auch nicht weniger.” ? Schließlich könnte doch jede Kommune mit Gruppensex das gemeinsame, fürbittende Gebet zu Gott gut gebrauchen, dass die Truppe um der gezeugten Kinder willen lange genug beisammen bleiben möge. Wie will die EKD denn biblisch die bloße Zweierzahl begründen, wenn sie schon auf die Mann-Frau-Beziehung keinen Wert mehr legt?
Ich kann die EKD darin verstehen, dass sie Menschen mit einer gescheiterten Beziehung nicht allein lassen, ihnen innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft einen Neuanfang ermöglichen und sie daher nicht ausgrenzen will. Das ist seelsorgerisch sicher sehr lobenswert, aber bei einer Orientierungshilfe muss man Kante zeigen, Ideale vorgeben, sonst wird sie bedeutungslos, weil irgendeinem augenblicklichen Zeitgeist unterworfen. Wenn als „Ehe“ alles gilt, wo mehr oder minder stark Liebe und sexuelles Verlangen, vielleicht ja nicht einmal das, auftaucht, gibt es nichts mehr, was laut Bibel und selbst im Sinne unseres Grundgesetzes als „Ehe und Familie“ ausformuliert ist.
Gingen doch die Verfasser des Grundgesetzes wie selbstverständlich davon aus, dass die meisten Ehen in eine Familie mit Kindern münden und eine Minderheit sich halt mit Kinderlosigkeit abfinden muss, die sie zur Not mit einer Adoption ausgleichen kann. Auch heute noch werden die meisten Kinder nach wie vor in Ehen geboren. Eine Trauung, und sei sie auch nur auf dem Standesamt besiegelt, ist also noch immer für die meisten das entscheidende Symbol für eine erstrebte Sicherheit, entgegen allem Gerede über die Vorzüge der Patchwork-Familie. Sie bleibt zweite Wahl.
„Ich bin lieb, du bist lieb, Gott ist lieb“, mit dieser Kuscheltheologie, die nicht mehr urteilen, sondern nur noch verstehen will, scheint mir der neue evangelische familienpolitische Leitfaden einen Wertewandel einzuleiten, der nicht einmal mehr die muslimische Polygamie ausgrenzen kann, so sehr strotzt er vor aufgeweichter Anteilnahme und Nächstenliebe. Die EKD zeigt viel Mitgefühl für jene, die in neuen Familienkonstellationen leben, allen voran die Alleinerziehende, laut SPIEGEL die „Madonna des deutschen Sozialstaats“.
Mit keinem Wort erwähnen die Autoren die Verantwortungslosigkeit, die junge Frauen in diese Situation bringt, die in dem Leitfaden so wortreich beklagt wird. Nur am Rande ist von den seelischen Wunden der Kinder bei einer Scheidung die Rede, um ja nicht Gefühle bei Geschiedenen allzu sehr zu verletzen.
Viele Frauen schieben ihren Kinderwunsch auf, weil sie Zweifel an der Verlässlichkeit des Partners haben. Wo bleibt hier der Appell an die männliche Treue und Verantwortung? Mit der obigen schwammigen Ehe-Formulierung stellt die EKD den Männern gerade zu einen Freibrief aus, sich vom Acker zu machen. Wenn es mit der einen über kurz oder lang zu wenig funkt, dann halt mit der (oder dem ?) nächsten. Der Pastor wird es ja erneut absegnen.
„Die Ehe ist ein weltlich Ding“ erklärte schon Martin Luther. Die EKD übernimmt das: „Die Ehe ist kein Sakrament, nicht von Jesus selbst eingesetzt und damit keine absolute Ordnung.“ Dennoch ging ich als katholischer Gast bei evangelischen Trauungen bisher immer davon aus, dass das (heterosexuelle!) Hochzeitspaar sich gegenseitig versprach, den anderen zu lieben wie sich selbst, durchaus in dem Bangen, dass das menschlich eigentlich überfordert, aber in dem festen Vertrauen darauf, dass Gott diese Ehe gewollt hat und dass Christus dem Paar deshalb helfen wird, diesem Ideal in seinem weiteren Leben näher zu kommen und dass die beiden hoffentlich bis zum Ende ihres Lebens ein Ehepaar bleiben werden. Der Segen des Pastors und das fürbittende Gebet der mitfeiernden Gemeinde dienten dazu als äußere Zeichen eines göttlichen Geschenkes.
Auch ich mit meinem katholischen Verständnis von Ehe als Sakrament konnte dabei von ganzem Herzen mitfeiern und mitbeten. Aber jetzt? Zeitgeist-Zirkus vor dem Traualtar, nein danke! Eine offizielle evangelische Kirche, die die klassische Ehe dermaßen herabwürdigt, wie dies in der jetzigen „Orientierungshilfe“ geschieht, spricht sicher auch vielen evangelischen Christen nicht mehr aus deren Herzen.