1) Es ist kein Zeichen von guter Demokratie, wenn jedermann sich für jedermanns Richter hält. Schon Aristoteles warnte vor der Gefahr einer Tyrannei des Pöbels, wenn ein Staat die Demokratie zur Staatsform wählt.
2) Ein Spitzenpolitiker, der nicht viel gute und persönliche Kontakte zu einflussreichen Leuten aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik hat, ist keiner. Umgekehrt werden solche einflussreichen Leute immer den Kontakt zu Spitzenpolitikern suchen, sie kostenlos einladen und testen, ob die zwischenmenschliche Chemie einigermaßen stimmt und untereinander Vertrauen hergestellt werden kann. Wie weit Politiker damit abhängig werden, hängt von ihrer inneren Freiheit - und von einem ihrem Posten angemessenen und sicheren Gehalt - ab.
3) Will nicht der Steuerzahler die Kontaktkosten des Politikers übernehmen, muss der Politiker auch solche Einladungen annehmen. Nur so kann auch er herausbekommen, wer für ihn vertrauenswürdig ist und wer nicht.
4) Ob sich daraus persönliche Freundschaften entwickeln, ist nicht vorher absehbar. Aber auch ein Spitzenpolitiker kommt nicht aus einem seit seiner Kindheit keimfreien Niemandsland, hat ein Recht auf Freunde, auf Privatleben, Familie und Kinder, ohne dass man ihm gleich Vorteilsnahme und Kungelei unterstellt.
5) Die Meinungsfreiheit der Presse ist in einer gut funktionierenden Demokratie unerlässlich. Sie entbindet trotz aller Parteinahme und eigener Meinung des Journalisten aber nicht von einer dem Gemeinwohl des Staatswesens gegenüber verantwortungsvollen Informationspolitik.
Übertragen auf den Fall Wulff stellen sich für mich folgende Fragen:
a) Die Presse protestierte nicht, als der grüne Außenminister Joschka Fischer (mit seiner x-ten Frau) oder SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder (mit seiner vierten Frau) einen kostenlosen Urlaub beim gleichen Finanzmanager wie der jetzige Bundespräsident verbrachte. Warum misst man mit zweierlei Maß?
b) Aus dem Fernsehinterview des Bundespräsidenten geht klar hervor, dass er um Verschieben der Presseveröffentlichung bat, um einige Darstellungen klarzustellen. D.h. er war mit der augenblicklichen Abfassung nicht einverstanden. Die wollte er so nicht haben, aber vielleicht anders? Ist es nicht böswillige Manipulation, wenn in den Kurznachrichten nur der erste Halbsatz zu hören ist und man daraus einen Konflikt „Verschieben oder Verhindern?“ oder gar einen Großangriff auf die Pressefreiheit zimmert? Besteht Pressefreiheit darin, dass jeder schreiben kann, was ihm passt, nur damit man an Skandalen und Konflikten gut verdient, Absatzmärkte und Einschaltquoten erhöht, weil sie halt einen hohen Unterhaltungswert haben und viele Gemüter bewegen? Harmonie ist langweilig.
c) Ob der Bundespräsident noch als Ministerpräsident gegen das niedersächsische Ministerpräsidentengesetz verstoßen hat, muss der niedersächsische Landtag entscheiden, nicht die Presse oder der Mann auf der Straße. Warum fordert die Presse den niedersächsischen Landtag nicht dazu auf? Woran ist sie wirklich interessiert, wenn sie nur den Bundespräsidenten als Gesetzesbrecher anprangert?
d) Wenn ich mir bekannten Juristen glauben darf, hat der Bundespräsident mit seinem Fernsehinterview recht und nicht die BW-Bank, wenn er als Vertragsbeginn die Absichtserklärung und nicht das Datum der bezeugenden und damit im Notfall juristisch verhandelbaren Unterschrift nennt. Ist es nicht inkompetent und unredlich, wenn die Nachrichtenlandschaft daraus einen Bundespräsidenten macht, der allem Anschein nach lügt?