Am 30. Juli 2009 war es geschafft: Nach sieben Monaten und 4500 Kilometern stand ich auf dem Ölberg. Vor mir lag das Ziel meiner Reise: Jerusalem!
Es war ein ganz seltsames Gefühl in diesem Moment: ein bisschen Stolz, es geschafft zu haben, aber auch etwas Wehmut, im Wissen darum, dass diese unglaubliche Reise nun zu Ende sein würde, aber vor allem war es Freude darüber, bis hierher gekommen zu sein. Als ich am 6. Januar in St.Georgen (Schwarzwald) aufgebrochen war, hatte ich noch große Zweifel, ob ich mein Ziel je erreichen würde.
Für mich ging es bei dieser Reise zum einen darum, eine Auszeit zu nehmen und persönliche Fragen zu klären. "Ich bin dann mal länger weg", war dabei mein Motto in Anlehunug an den Bestseller von Hape Kerkeling. Pilgern bedeutet für mich jedoch mehr als nur einen spiritueller Selbstfindungstrip. So ging es mir darum, diese Fragen und Bitten, aber auch meinen Dank vor Gott zu bringen. Pilgern hat immer ein Ziel, in meinem Fall die Grabeskirche in Jerusalem. Dort wollte ich meine Anliegen vor Gott bringen.
Zu Fuß unterwegs zu sein zu einem solchen Ziel, bedeutet für mich dabei auch meinen Glauben zu leben, zwar mit Vorratstasche und Wanderstab, aber doch im Sinne des Evangeliums unterwegs zu sein und Zeugnis zu geben.
Neben diesen religiösen Motiven sind es auch andere Momente, die dazu führten, dass mich seit meiner ersten Pilgerreise nach Santiago 2002 die Sehnsucht nach dem Pilgern nicht mehr loslässt. Es ist ein wunderbares Gefühl der Freiheit, alles auf dem Rücken zu haben, was man braucht und sich so einmal wieder auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Nachdem ich schon nach Santiago und nach Rom zu Fuß gepilgert war, blieb noch Jerusalem, das größte aller Pilgerziele.
Im Herbst 2008 entschied ich mich, mir diesen Traum zu erfüllen.
Ich habe mich bewusst entschieden, allein zu laufen. Das war nicht immer ganz einfach, weil man auf so einer Reise gezwungen ist, sich mit sich selbst auseinander zu setzen und nicht vor sich weglaufen kann. Gleichzeitig gehörte diese Erfahrung aber zu den wertvollsten der Reise.
So wurde ich also am 6. Januar in einem Gottesdienst von meiner Gemeinde ausgesandt und bin einfach losgelaufen... Die Strecke hatte ich nicht genau geplant, sondern nur eine ungefähre Route im Kopf. Diese führte mich zunächst über die Alpen und dann durch Italien. Da Jerusalem erst einmal sehr weit weg schien, nahm ich mir Assisi nach gut 1000 Kilometern als ein Zwischenziel vor. Bei rund 25 Kilometern am Tag war dies nach etwa 1,5 Monaten erreicht. An diesem wunderbaren Ort erholte ich mich ein paar Tage und danach ging die Route weiter entlang der Adria bis zur alten Hafenstadt Brindisi. Der genaue Wegverlauf entstand Tag für Tag. Ich genoss es sehr, morgens loszulaufen und nicht zu wissen, wo ich abends übernachten werde. Eine Frau fragte mich einmal nach dem Ziel meiner Tagesetappe, woraufhin ich wahrheitsgemäß antwortete: " Der Ort, an dem ich abends einen Platz zum Schlafen finde, ist mein Tagesziel"
Für mich gehört zum Pilgern auch, auf andere Menschen angewiesen zu sein. So klopfte ich immer irgendwo an und bat um eine Übernachtung. Das kostete zunächst etwas Überwindung, war aber eine sehr gute Erfahrung und ich lernte auf diese Weise viele interessante Menschen kennen. In Italien fand sich oft in Pfarreien oder Klöstern ein Platz; manchmal wurde ich aber auch weggeschickt. Das tat besonders dann weh, wenn mich die Leute gar nicht anschauten, sondern nur den Blick senkten und mich mit einer abfälligen Handbewegung abwiesen. Wenn ich irgendwo aufgenommen wurde, waren das hingegen zwar sehr kurze, aber oft intensive Begegnungen. Man wird plötzlich sehr dankbar für einen Apfel, den man geschenkt bekommt oder für ein richtiges Bett. Man lernt diese vermeintlich selbstverständlichen Dinge wieder mehr zu schätzen. Die Gastgeber gaben mir im Gegenzug oft ihre Anliegen mit auf den Weg. Diese Menschen im Gebet mitzutragen, war für mich als Pilger eine ganz wichtige Aufgabe.
Die Begegnungen mit den Menschen unterwegs zählen sicherlich zu den Höhepunkten meiner Reise - Beispielsweise im relativ unbekannten Kloster Madonna dei Miraculi in Süditalien. Bei strömendem Regen kam ich an das Klostertor und der Abt bot mir gleich ein Zimmer an. Ich blieb an diesem wunderbaren, freundlichen Ort insgesamt zwei Tage. Ich nahm an den Gebetszeiten teil, in welchen die sieben Mönche des Klosters sangen, zwar unglaublich schlecht, aber mit ganzer Kraft und voller Inbrunst. Es war schön zu sehen, wie diese Leute einfach ihr Bestes geben und dabei glücklich sind. Am Ende meines Aufenthalts dankte ich dem Abt für die tolle Atmosphäre und den guten Geist, den ich in seinem Kloster erleben durfte. Da meinte er, dass ich es gewesen sei, der den guten Geist hierher gebracht habe. In diesem Moment waren alle Strapazen der bisherigen Reise vergessen
In Brindisi angekommen nahm ich die Fähre nach Igoumenitsa in Griechenland. Die Begegnungen mit der Orthodoxie fielen sehr unterschiedlich aus. Teilweise wurde ich weggeschickt, wenn ich mich als Katholik zu erkennen gab. Ich habe sehr strikte Vertreter der Orthodoxie getroffen, die mit viel Vorurteilen gegenüber der katolischen Kirche behaftet waren. Es gab jedoch auch sehr offene Geistliche. So feierte ich etwa in einem der Meteoraklöster das Osterfest mit und auch auf dem Athos, den ich vier Tage besuchte, entwickelten sich gute Gespräche mit den dort lebenden Mönchen, in denen ich viel über die orthodoxe Kirche lernte.
Eine Begegnung in Griechenland hat mich aber ganz besonders berührt: Im Schatten des Olymps sah ich von weitem schon einen Schäfer mit seiner kleinen Herde. Der Mann winkte mich zu sich und wir setzten uns zum Essen auf den Boden. Da wir beide nicht viel hatten, teilten wir unser Essen, so dass es für jeden reichte. Diese Mittagsmahl war besser als jedes Vier-Sterne-Menu! Da ich nur etwas Griechisch sprechen konnte, konnten wir zwar nicht viel miteinander reden, doch als wir so die Landschaft betrachteten und die Sonne genossen, da hatte ich das Gefühl, wir verstanden uns auch ohne Worte.
Der absolute Höhepunkt, was die Gastfreundschaft anbelangt, war aber die Türkei. Von Griechenland aus kam ich zunächst nach Istanbul und durchquerte dann das anatolische Hochland und den Taurus bis zur Hafenstadt Tasucu gegenüber von Zypern. Vor allem in den kleinen Dörfern wurde ich immer herzlich aufgenommen. Zentraler Ort dieser Dörfer ist eine Teestube, in der sich abends die Männer des Dorfes versammeln. Diese winkten mich meist sofort her, wenn sie mich sahen. Bei dem ein oder anderen Çay (Tee) fand sich dann immer eine Möglichkeit, wo ich übernachten konnte. Anfangs war ich etwas ungeduldig, vor allem, wenn ich schon müde war von meiner Tagesetappe und noch nicht wusste, wo ich übernachten könne. Ich musste erst lernen, dass dieses gemeinsame Teetrinken sehr wichtig ist, um sich meiner ehrlichen Absichten zu versichern und bereits zur Lösung des Problems unmittelbar dazugehört. Weggeschickt wurde ich hier nie.
Ich hatte zunächst Bedenken, wie Moslems auf mich als christlichen Pilger reagieren würden. Was dies anbelangt wurde ich aber sehr positiv überascht. Das Konzept einer Wallfahrt kannten sie aus ihrer Religion und so hatten sie meist sehr großen Respekt vor meiner Unternehmung.
Ich wurde dabei das ein oder andere Mal gefragt, ob ich denn überzeugt sei, dass mein Glaube der richtige sei. Dies bejahte ich natürlich, woraufhin mein Gegenüber dasselbe für seinen Glauben in Anspruch nahm und meinte, wir würden ja später sehen wer von uns beiden Recht behalte. Daraufhin tranken wir im gegenseitigen Respekt einen Cay.
Solche Begegnungen zeigten mir, dass Toleranz und Dialog möglich ist, auch ohne den jeweiligen Wahrheitsanspruch aufzugeben.
Ich war oft in Familien zu Gast und wurde sogar einmal zu einer Beschneidungsfeier eingeladen.
In den Familien gab es allerdings große Unterschiede. In liberaleren Familien aßen etwa Frauen und Männer gemeinsam am gleichen Tisch. In anderen, konservativeren Familien war dies undenkbar. Dort durfte ich nicht einmal meine Socken waschen, da dies "Frauenarbeit" sei. Für mich war es insgesamt sehr spannend, hier eine ganz andere Kultur kennen zu lernen.
Am meisten haben mich allerdings Menschen im Taurusgebirge beeindruckt. Die Familien hatten meist nur ein paar Tiere und ein kleines Häuschen mit vielleicht ein bis zwei Zimmern. Diese Menschen, die selbst so wenig hatten, gaben aber am großzügigsten. Ganz selbstverständlich war auf dem Boden noch Platz für ein weiteres Nachtquartier und im Topf, aus dem alle aßen noch genug für einen Gast. Oft dachte ich, dass wir von diesen Menschen, von ihrer Offenheit und Herzlichkeit noch viel lernen können.
Nach einem kleinen Abstecher in Antakya (ehem. Antiochia) folgt ich meiner ursprünglichen Route und nahm das Schiff nach Zypern. Ich durchquerte die Insel und setzte von dort nach Haifa (Israel) über. In Zypern erlebte ich allerdings einen Kulturschock. Hier hatten die Leute wieder große gepflegte Gärten aus denen sie mich misstrauisch beäugten. So verbrachte ich die erste Nacht auf einem Kirchplatz als "Teilzeit-Obdachloser". Was mich eigentlich beunruhigte, war, dass es meine eigene Kultur war, die mich "schockte".
Meine Route im Heiligen Land führte mich zunächst nach Nazaret und dann am Jordan entlang, durch das Westjordanland über Jericho bis nach Jerusalem hinauf. Eine Route, die Jesus wohl auch das ein oder andere Mal gewählt hatte. Diese Stätten zu besuchen, die ich bislang nur aus der Bibel kannte, war sehr bewegend. Aber auch die Landschaft hat mich fasziniert, vor allem als ich am Jordan bei bis zu 45 Grad durch wüstenähnliche Gebiete kam, eine Landschaft, die sehr unwirtlich und lebensfremd scheint. Sie hat eine Weite, Stille und Ruhe, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Hier konnte ich noch einmal meine Gedanken ordnen und mich auf das Ankommen vorbereiten.
Über den Konflikt zwischen den Palästinensern und den Israelis konnte ich in Gesprächen viel erfahren, über gegenseitige Angst, Hass, Misstrauen und Demütigungen.
Einmal übernachtete ich zusammen mit Palästinensern unter freiem Himmel; am nächsten Tag in einer israelischen Siedlung, hinter Stacheldrahtzaun, bewacht von Soldaten mit Maschinengewehren. Dort saß ich am Swimming-Pool und dachte an meine palästinensischen Gastgeber vom Vortag, die nicht genug Wasser zum Trinken hatten...
Nachdem Jerusalem zum ersten Mal auf einem Straßenschild zu lesen war, dauerte es nicht mehr lange und jener 30. Juli war gekommen, an dem ich zum ersten Mal vom Ölberg aus die Altstadt von Jerusalem sehen konnte. Von dort aus ging ich durch die verwinkelten Gässchen bis zur Grabeskirche, dem Ziel meiner langen Reise. Da musste ich noch einmal an die Menschen denken, die mich auf meinem Weg unterstützten, an die Begegnungen und auch an die schwierigen Momente. Als ich dort am Grab Christi kniete, war ich aber einfach nur dankbar. Ich war froh, dass ich es damals wagte, aufzubrechen und mir meinen Traum zu erfüllen.
Viele Menschen hatten mir ihre Anliegen mit auf den Weg gegeben und so hatte ich am Ende eine recht lange Liste mit Namen. An den nächsten Tagen ging ich deshalb immer wieder in die Grabeskirche, um für diese Menschen zu beten.
Nach dieser langen Reise war es gar nicht so einfach, wieder zurück zu kommen und sich im Alltag zurecht zu finden. Ich wurde oft gefragt, ob mich diese Reise verändert habe. Ich denke, ein wenig hat sie mich schon verändert. Besonders beeindruckend waren die Begegnungen mit Menschen, mit mir und mit Gott. Diese Erfahrung der Begegnung mache ich auch nach meiner Reise immer wieder neu, wenn ich in Vorträgen und Bildern von meiner Tour berichte.
Felix Eisenbeis (felix.eisenbeis@gmx.de)
Vorträge darüber:
13.4. Albstadt-Margrethausen, kath. Gemeindezentrum, 20.00 Uhr
14.4. Schonach, kath. Gemeindezentrum, 20.00 Uhr
18.4 Beffendorf, Gemeindezentrum, 20.00 Uhr Eintritt frei!
13.5. Schiltach (VHS), Friedrich-Grohe-Halle, 20.00 Uhr
19.5. Singen, Kath. Bildungszentrum, 19.30 Uhr