Für viele Menschen ist sie die Ikone des Christentums schlechthin, Mutter Teresa von Kalkutta (1910 – 1997) mit ihrem unermüdlichen Einsatz für die Ärmsten der Armen, die christliche Ausländerin mit indischem Staatsbegräbnis. Anfangs wirkte sie mit ihrem Orden der Missionarinnen der Nächstenliebe fast im Verborgenen bis die Weltpresse sie entdeckte und ihr eine weltweite Spendenflut bescherte, so dass sie öffentlich darum bat, woanders hin zu spenden, weil ihr Orden diese Geldmenge nicht mehr verkraften könne.
Für viele Menschen war sie Trost und Ansporn zugleich. Umso größer war das Erschrecken vieler, als man ihr Tagebuch nach ihrem Tod veröffentlichte und sichtbar wurde, dass ihr die Gottesgewissheit abhanden gekommen war, ihr, die so fest wie kaum jemand im Christusglauben verankert schien und daraus ihre Kraft schöpfte.
Für mich jedoch sind ihre Zeilen Trost, zeigen sie mir doch, wie sehr sie die Unverfügbarkeit Gottes schmerzhaft erfahren musste, damit sich umso klarer ihr Blick für den Nächsten schärfen konnte. Sie schreibt:
„Es herrscht eine solche Dunkelheit, dass ich wirklich nichts sehen kann - weder mit meinem Geist noch mit meinem Verstand. Der Platz Gottes in meiner Seele ist leer. In mir ist kein Gott. Der Schmerz des Verlangens ist groß. Ich sehne und sehne mich nur nach Gott und dann fühle ich noch dies: Er will mich nicht, er ist nicht da. ...
Mein eigenes Leben scheint mir so widersprüchlich. Ich helfe den Seelen, wohin zu gehen? Warum das alles? Wo ist die Seele in meinem eigenen Sein? Gott will mich nicht. Manchmal höre ich den Schrei meines eigenen Herzens ‚Mein Gott!’, und nichts weiter kommt. ...
Trotzdem bricht irgendwo tief in meinem Herzen diese Sehnsucht nach Gott durch. Wenn ich draußen bin, bei der Arbeit, oder wenn ich mich mit Leuten treffe, ist dort eine Gegenwart von jemandem ganz Lebendigen ganz nahe in mir. Ich weiß nicht, was das ist, doch sehr häufig, sogar jeden Tag immer wirklicher wächst diese Liebe für Gott in mir. Ich ertappe mich dabei, wie ich Jesus unbewusst die seltsamsten Zeichen der Liebe gebe.“
Aus meiner Sicht hat sie das Wort Jesu: ‚Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.’ Matthäus 25,40) vollkommen verinnerlicht. Die Antwort Jesu auf die Frage nach dem wichtigsten Gebot: ‚Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.’ (Matthäus 22, 37-40) ist ihr in Fleisch und Blut übergegangen.
So bleibt Mutter Teresa für mich eine Ikone des Christentums, gerade weil sie den Platz Gottes in ihrer Seele nicht mehr spürte und dennoch vom Menschen, dem Nächsten, nicht loskam.
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