Der ursprünglich französische Text nennt keinen Verfasser. Dieser Unbekannte versetzt sich in die Rolle Gottes, wobei sich mir nicht erschloss, ob er von einem christlichen Gott als Vater oder von einem Jesus Christus als göttlichem Begleiter oder von einem göttlichen geistlichen Beistand ausgeht. Vielleicht meint er auch die christliche Dreifaltigkeit zusammengenommen. Mir scheint das zweitrangig. Entscheidend für mich war, wie stark mich dieser Text ansprach, so sehr, dass ich ihn hiermit in freier Form ins Deutsche übertrage, weil wörtlich übersetzen für mich nicht passt:
Ich, Dein Gott, kenne den Leidensdruck, die Spannungen und Unruhen in Deiner Seele, die Gebrechlichkeiten und Mängel Deines Körpers. Ich weiß um Deine Nachlässigkeit, Deine Verfehlungen und Dein Versagen. Genau deswegen sage ich Dir: „Schenke mir Dein Herz, wende Dich mir einfach so zu, wie Du bist.“
Wenn Du anstrebst, Dich engelsgleich der Liebe auszuliefern, wirst Du mich niemals wirklich lieben. Selbst wenn Du noch so oft in diesen Fehler verfällst, wirst Du mich niemals näher kennenlernen. Selbst wenn Du Dich feige vor der Tugend wegduckst, verschließe ich mich nicht vor Deinem Versuch, sich mir zuzuwenden.
Wende Dich mir zu, so wie Du augenblicklich bist, ganz gleich, in welchem Zustand Du Dich gerade befindest, sei es leidenschaftlich oder ausgedörrt, glaubend oder ungläubig.
Wende Dich mir zu, so wie Du jetzt bist. Ich sehne mich nach jener Zuneigung, deren Dein Herz gerade bedarf. Niemals wirst Du mich wirklich echt lieben können, wenn Du nach Perfektion strebst.
Mein Kind, lasse es zu, dass ich Dich liebe. Ich will Dein Herz. Natürlich will ich Dich verwandeln, aber geduldig abwartend, weil ich Dich wertschätze, so wie Du bist. Ich wünsche mir, dass Du genauso handelst. Ich möchte sehen, wie aus der Tiefe Deines Leidensdrucks Barmherzigkeit aufblüht.
Ich liebe an Dir all Deine Schwächen. Ich begehre die Zuwendung des Armseligen. Ich will, dass aus der Bedürftigkeit sich beständig der Aufschrei erhebt: Herr, ich liebe Dich. Es ist der Gesang Deines Herzens, der mir wichtig ist. Dafür brauche ich Dein Wissen und Deine Begabungen nicht. Es sind nicht die Tugenden, die ich Dir abverlange. Selbst wenn ich Dir welche gegeben habe, bist Du immer noch schwach genug, damit sich reine Liebe überhaupt erst damit vermischen kann.
Ich könnte Dich für große Vorhaben vorsehen, doch damit bist Du ein unnützer Diener. Ich nehme das Wenige, das Du hast, entgegen, denn ich habe Dich für die Zuwendung geschaffen. Sei barmherzig!
Diese Zuwendung wird Dich alles tun lassen, ohne dass Du groß darüber nachdenkst. Strebe nur danach, den Augenblick mit Deiner Hingabe zu füllen.
Heute verharre ich wie ein Bettler vor der Pforte Deines Herzens, ich der Herr aller Herren. Ich klopfe an und warte. Beeile Dich, mir zu öffnen. Schütze nicht Deine Unzulänglichkeit vor. Deine Bedürftigkeit, wenn Du sie voll durchschautest, würde Dich schmerzvoll sterben lassen. Das einzige, was mich verletzen könnte, sind Dein Zweifel und Dein Mangel an Vertrauen.
Ich will, dass Du Tag und Nacht an mich denkst. Ich will nicht, dass Du Dich in die bedeutungsloseste Geschäftigkeit treiben lässt, außer Du tust es aus Zuwendung. Wenn ich Dich leiden lasse, gebe ich Dir die Kraft dazu. Hast Du mir Deine Zuwendung geschenkt, werde ich Dir weitere Zuneigung geben, mehr als Du zu träumen wagtest.
Aber denke daran: „Wende Dich mir so zu, wie Du bist.“ Versuche nicht, ein Heiliger zu sein, um Dich ganz der Zuwendung auszuliefern. Damit wirst Du niemals lieben lernen.
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