Wenn es einen Menschen gibt, mit dem ich nicht tauschen möchte, dann ist das Johannes, genannt der Täufer.
Welchem Erwartungsdruck seiner Eltern musste er wohl schon als Kind standhalten? Hatte es seinem Vater, dem Priester Zacharias, doch gewaltig die Sprache verschlagen, als ihn Gott erfahren ließ, dass er und seine Frau Elisabet auf ihre alten Tage noch einen Sohn bekommen würden mit großartiger Zukunft: "Viele Israeliten wird er zum Herrn, ihrem Gott bekehren. Er wird mit dem Geist und der Kraft des Elija dem Herrn vorangehen, um das Herz der Väter wieder den Kindern zuzuwenden und die Ungehorsamen zur Gerechtigkeit zu führen und so das Volk für den Herrn bereit machen." Welch ein Glück, dass Johannes "Wein und andere berauschende Getränke" nicht zu sich nahm, er wäre unter diesem hohen seelischen Druck höchstwahrscheinlich davon abhängig geworden.
So blieb ihm nur der Rückzug in die Einsamkeit der Wüste, vor der sengenden Sonne des Tages, der Eiseskälte der Nacht und dem Fauchen des Sandsturmes geschützt durch ein raues Gewand aus Kamelhaaren, vor dem Verhungern bewahrt durch Heuschrecken und wildem Honig, bis ihn der Auftrag Gottes einholte, Vorläufer für den Messias zu sein, ein Leben, das alles andere als auf Rosen gebettet verlief.
Niemand hatte ihm in der Wüste einen höflichen Umgangston beigebracht. Dass er überhaupt welche zum Neuanfang mit Gott zu überzeugen vermochte und diese sich von ihm zum Zeichen ihres Neubeginns sogar taufen ließen, wundert mich. Beschimpfte er sie doch als Schlangenbrut und drohte mit den ewigen Feuer als Strafe Gottes. Einen solchen Spinner hätte ich schwätzen lassen, ohne mich darum zu kümmern.
Einer von denen, die er damals schrecklich genervt hat, war Herodes Antipas, der damalige Landesherr von Juda. Angestiftet von seiner zweiten Frau Herodias und empfindlich getroffen von dem Vorwurf, dass er unrechtmäßig seine erste Frau verstoßen habe, um Herodias, die Frau seines Bruders, zu heiraten, hat er Johannes kurzerhand ins Gefängnis gesteckt, schreckte jedoch vor seiner Hinrichtung zurück, weil er sich insgeheim vor ihm fürchtete, ihn für einen heiligen und gerechten Mann hielt. Darum deckte er ihn, besuchte ihn heimlich, auch wenn es ihn "unruhig und ratlos machte, und doch hörte er ihm gerne zu"(Mk 6,20b).
Wie war es Johannes im Kerker wohl zumute, Gefangener und Seelsorger zugleich, oft einsam und voller Zweifel über sich und seinen Auftrag? Hatte ihn sein Gespür, er habe den lang ersehnten Messias vor sich, getrogen, als er Jesus am Jordan taufte? Jemand musste ihm die Nachricht in die Haft geschmuggelt haben, dass Jesus sich nach Galiläa zurückgezogen hätte. Hatte Jesus Angst, selbst verhaftet zu werden? War Jesus überhaupt der Messias? Hatte er, Johannes, sich bloß in ein Wahnbild verstrickt? Es gelang ihm, über zwei seiner Anhänger Jesus zu fragen: "Bist du der, der kommen soll oder müssen wir auf einen anderen warten?" Doch Jesu Antwort: "Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt." war für den Zweifler im Gefängnis wohl alles andere als eindeutig. Dass Jesus ihn selbst höher als alle anderen Propheten einstufte und ihn als Erfüller der Heiligen Schrift sah, der dem Messias den Weg bahnen sollte, wie es der Prophet Maleachi schon verkündet hatte, das bekam Johannes nicht zu hören. Er blieb im Kerker ganz auf sich allein gestellt.
Schied er im Gottesfrieden oder in abgrundtiefer Verzweiflung, als sich die Gefängnistür zum letzten Mal für ihn öffnete und der Henker ihm den Kopf abschlug? Wusste er, welch lächerlicher Anlass ihn den Kopf kostete? Hatte sich der Henker an der Macht über den Verängstigten und Verzweifelten berauscht und den Hofklatsch vor ihm ausgebreitet?
Herodes war bei seiner Geburtstagsfeier vermutlich vom Wein ein wenig angeheitert gewesen, hatte zusammen mit seinen Gästen den Bauchtanz seiner leicht geschürzten Tochter genossen und sich dann vor allen Leuten leichtsinnig zum Schwur hinreißen lassen, er werde ihr jegliche Bitte gewähren, was Mutter Herodias sofort ausnutzte und ihrer Tochter den Wunsch einredete, den Kopf des Johannes zu fordern. Aus Angst, sein Gesicht zu verlieren, sprach Herodes das Todesurteil. Aber sein Gewissen muss ihn gehörig geplagt haben; denn als ihm die Taten Jesu zu Ohren kamen, befürchtete er, Johannes sei auferstanden. So wurde der geradezu lächerlich armselige Tod des Johannes zum Zeichen, dass Gott sich nicht mundtot machen lässt.
Christen feiern an Weihnachten das Geburtsfest jenes Mannes, auf den Johannes, der Täufer, zeigt. Davor liegt die Adventszeit, die Zeitspanne des Johannes, die "Ankunfts"zeit mit ihrem Kerzenschein. Adventskerzen und Johannes haben eines gemeinsam: Wer Licht bringen will, muss herunterbrennen.