„Die eindrucksvollsten griechischen Tempelreste stehen nicht in Griechenland, sondern in Sizilien“, ließ uns eine französische Bekannte wissen. Bildungshungrig ergänzten wir also unsere Griechenlandreise durch einen Abstecher dorthin. Unsere 48-köpfige Reisegruppe war vom Reiseunternehmen eine Woche lang vom 08.11. bis 15.11.2023 in Acireale untergebracht, von wo aus wir die entsprechenden Sternfahrten unternahmen. Wir begannen mit der Besichtigung der weitgehend barocken Stadt Caltagirone, die als „Hauptstadt der Keramik“ gilt. Diese knallig bunte Kunst passte nicht in unser Wohnzimmer, war obendrein in allen anderen sizilianischen Städten, wo wir Touristen uns aufhielten, angeboten, zum Teil in unterschiedlichsten Preisen. Made in China? Den Atem nahmen mir erst die Bodenmosaiken der kaiserlichen „Villa Romana del Casale“ in Piazza Armerina. Die Mosaiksteine waren so kunstvoll verlegt, dass sie sogar einen leicht perspektivischen Eindruck in mir hinterließen. Hier waren sicher die besten Künstler jener Zeit am Werke. Die Vorspeisen, welche die Restaurantkette Primavera in ihrem Programm hat, boten einen ersten Gaumenschmaus der sizilianischen Küche.
Meine Klischeevorstellungen von Sizilien gleich Meer, Ätna und Ruinen kurz vor Afrika begannen sich zu erweitern. Schon auf etwa 2 000 m Höhe am Vulkan Ätna (3 340 m) pfiff der Wind lausig kalt um den Gefrierpunkt herum und so böig, dass er eine zierlich gebaute Reiseteilnehmerin unserer Gruppe zu Boden warf. Handschuhe hatte ich wohlweislich eingepackt. Der eingeplante Spaziergang hielt sich damit in engsten Grenzen, ein Blick in einen erloschenen Krater und auf den rauchenden Gipfel genügte, kurz zum Aufwärmen un caffè, ein winziger Espresso, danach gab es als Plan B eine Busfahrt zu einem Gehöft, das verschiedene Honigsorten und Pistazienprodukte zum Probieren anbot. So trat auch eine kleine Flasche Pistazienlikör (17%) mit uns später die Heimreise an. Er schmeckt ein wenig wie Eierlikör, ist grün und cremig, einfach lecker.
Am Nachmittag besuchten wir das Städtchen Taormina mit seinem griechisch-römischen Theater, mit seinen steil abfallenden Gärten und mit seinen engen, pittoresken, zum Einkaufsbummel einladenden Gassen, die vor allem die weiblichen Teilnehmer unserer Reisegruppe ins Schwärmen brachten. „Schatz, kann ich da mal kurz reinschauen?“ „Aber gerne, wenn es nicht zu lange dauert.“ Die männlichen Begleiter bangten wohl mehr um das Schmälern ihrer Geldbörse oder das Abnehmen ihres Bankkontos. Mit meiner eigenen Frau hatte ich es leichter. Ihren Bewegungsdrang bremste lediglich eine italienische, Verzeihung, sizilianische Eisdiele aus.
Tags darauf pilgerten wir durch das „Tal der Tempel“ in Agrigent. Unsere Bekannte aus Frankreich hatte nicht übertrieben. Die griechischen Tempelreste wirken wuchtig und gewaltig, damalige Prestigeobjekte, die in etwa 80-jähriger Bauzeit von etwa 40 000 Sklaven aus Karthago errichtet wurden. Was bewegte die Griechen dort, über Generationen hinweg Zeit und Energie in solche Bauten zu stecken, anstatt den fruchtbaren Vulkanboden für ihre mannigfaltigen Früchte und Ernten einfach zu genießen, ganz zu schweigen von dem Hass, den sie damit in Karthago nährten? Kurz danach schien in Karthago das Maß voll und seine militärische Macht groß genug. Seine Rache war grausam und erfolgreich.
Auf der Rückfahrt versöhnte uns der Ätna mit einem schaurig schönen, feuerroten Schauspiel am dunklen Nachthimmel. Zum Glück fiel die Vulkanasche nur bis kurz vor Acireale, wo sich unser Hotel befand. Die Einheimischen in der Nähe des Vulkans hatten eine Kehrwoche der besonderen Art.
Palermos Ruf als Mafiastadt dürfte dank erfolgreicher Politik und beginnender Restaurierung der Altstadt der Vergangenheit angehören. In nächsten Jahren wird hier ein bauliches Juwel glänzen, das bestimmt die Touristen in noch größeren Massen anziehen wird, als es heute schon der Fall ist. Meine Frau und ich gönnten uns dort das berühmte Streetfood, nämlich ein arancino siciliano con carne, ein mit Hackfleisch gefülltes und gegrilltes Reisbällchen, das in Form und Farbe einer Orange gleicht. Zu Boden fallende Reiskörnchen werden von den städtischen Tauben flugs aufgepickt. Brioche con gelato ist eine Art Brötchen mit etwa zwei Kugeln Eis nach Wahl, sehr sättigend und an den immer noch sehr heißen Mittagen im November trotz bereits kühler Nächte recht angenehm zu verspeisen. Übrigens gibt es die bei uns gängige Kugelform von Eis nicht. Es wird einfach grob eine entsprechende Menge in eine bestimmte Bechergröße, in eine passende Waffeltüte oder eben in jenes Brötchen gepresst.
Wo Touristen flanieren, sind Straßenmusiker nicht weit. Man kann es genießen oder auch nicht. Eine Frauenstimme aber ließ mich aufhorchen. Sie erreichte mit ihrem Gesang sofort meine Seele. Leider spielte sie nur ein Lied, so ging ich zu ihr hin, wollte mit einer Spende ein weiteres Lied erkaufen. Da entdeckte ich vor ihr eine Pappkiste, in ihr eine CD mit dem Titel STRADA Facendo, als Künstler genannt ein Jakob Rizman an der Harfe und sie, Raquel Romeo mit Gitarre, Bass und Gesang. Zu Hause in Deutschland genoss ich zusammen mit meiner Frau diese wohl schönste Erinnerung an Palermo. Raquel Romeo ist als „Straßensängerin von Palermo“ auch auf Youtube zu hören, wie ich inzwischen herausgefunden habe.
Der Tagesausklang gehörte der mächtigen, normannischen Kathedrale von Monreale mit ihren einzigartigen Mosaiken, die nicht nur biblische Szenen darstellte, sondern mit ihrem Zusammenspiel aus romanischer, arabischer und byzantinischer Kunst auch eine kluge und ausgleichende Machtpolitik abbildete. Monreale ist ein Muss für jeden Touristen, der sich nach Sizilien verirrt.
Wie hoch Acireale, wo wir untergebracht waren, wirklich über dem Meeresstrand liegt, merkten meine Frau und ich erst, als wir einen Tag aus der Reisegruppe ausscherten. Morgens bummelten wir durch die sehenswerte Altstadt mit ihrem wunderschönen Dom, wobei das weltberühmte Marionettentheater leider montags geschlossen war, aßen im Freien eine Pinsa, eine Art Teigfladen mit Pizzabelag, die als Mittagsmenü angeboten wurde, und tranken dazu ein Bier vom Fass. Pizza essen die Sizilianer erst abends und trinken ebenfalls Bier dazu. Pizza mit Rotwein scheint nur in Deutschland als typisch italienisch, genauer sizilianisch zu gelten.
Der vorgesehene Verdauungsspaziergang zum Meer erwies sich als Halbtageswanderung. Zunächst ging es rechts vom Dom die engen Gassen hinunter zu einem steinigen, sehr steilen, in vielen Serpentinen gewundenen Weg voll sandartiger Vulkanasche zum Strand, wo zu unserer Überraschung Baden verboten war und viele dunkle Blöcke aus Vulkangestein das Ufer säumten. Wir verweilten etwa eine halbe Stunde am vollkommen ruhig daliegenden Wasser, bis die Sonne vom Steilhang bedeckt uns in Schatten hüllte, bevor wir zurück den Umweg über ein benachbartes Dorf wählten, weniger steil, aber entsprechend lang. Rechtzeitig vor dem Abendessen erreichten wir unser Hotel, unerwartet erschöpft und müde. Die Zeit reichte noch für ein kleines Nickerchen. Sandalen waren wohl nicht das richtige Schuhwerk für dieses Abenteuer.
26° mittags in Syrakus am letzten Tag unserer Rundreise ließen die Lust auf weitere Besichtigungen abschlaffen. Die kühle Meeresbrise am Hafen mit kleinem Imbiss und kaltem Getränk war angenehmer. Nachdenklich machte mich das deutsche Flüchtlingsschiff dort, dass nicht mehr auslaufen kann, weil es keinen Treibstoff bekommt, solange die von ihr aufgenommenen Flüchtlinge nicht nach Deutschland weitergeleitet, sondern in Italien abgeladen dort bleiben sollen. Die derzeitige Ampel-Regierung finanziert mit Steuergeldern drei solcher Schiffe bis 2026 mit. Die italienische Regierung will jetzt 3 000 Flüchtlinge nach Albanien auslagern.
Die Sichtweise der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock, dass es sich hierbei um die moralische Pflicht zur Lebensrettung handle, erschließt sich mir nicht. Am sichersten rettet man vor dem drohenden Ertrinken, wenn man Flüchtlinge gar nicht erst in eigens dafür geschaffene Schlauchboote steigen lässt, sondern sie gleich am sicheren Hafen in Afrika abholt. Ohne die GPS-Daten, die von den Schleusern weitergereicht werden, sieht man je nach Wetterlage in spätestens zwei bis drei Kilometer Entfernung im Dunst über der Meeresoberfläche kein flaches Boot mehr. Was soll dieser lebensgefährliche Zwischenschritt? Braucht man die Mitleidsmasche für ausreichend Spenden? Gilt diese moralische Verpflichtung erst dann, wenn ein Flüchtling in einem solchen selbstmörderischen Boot sitzt oder gar erst dann, wenn sein Ertrinken unmittelbar bevorsteht? Der schale Nachgeschmack auf der Zunge bleibt auch im Bus bei der Weiterfahrt nach Catania. Der wird in der nun eintretenden Kühle des Abends erst bei Don Peppinu überdeckt, der laut unserem Reiseführer Nino das beste Eis Siziliens, wenn nicht gar Italiens, haben soll.
Beim Rückflug von Catania nach München musste ich beim Scannen die Schuhe ausziehen, erst danach piepte der Scanner nicht mehr. Ich war in München mit denselben Schuhen problemlos durchgescannt worden. Die Flugreise mit Zwischenlandung in Rom verlief pünktlich und problemlos. Die Heimfahrt mit dem Zug war wieder typisch DB: 3 Minuten bis zur Abfahrt der S8 am Flughafen, wegen Verspätung nur 3 Minuten bis zur vorgesehenen Abfahrt mit dem ICE am Münchner Hauptbahnhof, der wegen Personalwechsel erst 8 Minuten später losfuhr, aber vier Minuten Verspätung aufholte, so dass 4 Minuten Umsteigezeit in den Regionalzug bis nach Crailsheim gerade noch reichten, wo dieser tatsächlich mit nur zwei Minuten Verspätung ankam, Reisestress pur, aber heimatlich vertraut. Schon auf der Hinfahrt fiel der gebuchte ICE aus.