Chinesisches Seidenpapier verzeiht keinen Fehler. Daher sind sehr gute chinesische Künstler gezwungen, ihre Malerei genauestens im Kopf zu haben und sie gleichsam als Kopie davon mit geübter Hand auf das Papier zu übertragen. Welche Gefühle sie damit verbinden, setzen sie in chinesischer Schönschrift in Worten dazu. Ganz anders dagegen ist die europäische Malerei ausgerichtet. Sie will im Bild selbst die Botschaft ausdrücken, was je nach Epoche mehr oder weniger an Malvorgaben und Sehgewohnheiten ausgerichtet ist. Um das zu lernen, tourt die chinesische Landschaftsarchitektin Xuan Tan nun drei Monate lang durch die Museen Europas. Sie träumt davon, ihre äußerst strenge Schulung durch ihren Vater Kaiwen Tan mit etwas ganz Neuem und für Chinesen Ungewohntem zu verbinden und dadurch ihren ureigenen Stil zu entwickeln. Schon ihr Großvater Haiping Chen galt im Großraum von Chendu, wo sich übrigens die Aufzuchtstation für Pandas befindet, als einer der ganz Großen seiner Zeit, obwohl er während der Kulturrevolution zehn Jahre im Gefängnis verbrachte. So zumindest habe ich das der Spur nach mit meinen einfachen Englischkenntnissen in etwa mitbekommen in jenen vier langen Gesprächsabenden, die sie bei uns im Haus verbrachte.
gezeichnet von Kaiwen Tan, Xuan Tans Vater
Aufgefallen ist mir dabei, wie schmerzhaft es für sie immer noch ist, sich allmählich aus der langen traditionellen und starr festgefügten Vorstellung ihrer Eltern vom einem fast unantastbaren Wert einer chinesischen Familie mit einer klaren Rollenzuweisung als Tochter zu lösen. Als Sechsjährige in der frischen und kalten Morgenluft auf dem Balkon laut Mandarin, die offizielle Sprache in China, zu lernen, ist ein Drill, den meine Frau und ich uns schwer bei unseren eigenen Kindern vorstellen konnten.
gezeichnet von Kaiwen Tan, Xuan Tans Vater
Anfang Oktober diesen Jahres sind Xuan Tan, meine Frau und ich im Schloss Sanssouci in Potsdam uns zweimal im Laufe der Besichtigung über den Weg gelaufen und fuhren gemeinsam nach Berlin Hauptbahnhof zurück, Zeit genug für ein erstes längeres Gespräch. Wir erfuhren dabei, dass sie im Alter unserer erwachsenen Kinder ist. Wir tauschten unsere E-Mail-Adressen aus und blieben dadurch über Frau Tans Reiseerlebnisse in Deutschland, Österreich, Italien, Spanien und Portugal informiert. Sie folgte einer Einladung zu uns nach Crailsheim für vier Nächte in der zweiten Novemberwoche, bevor sie sich nochmals in München mit anderen Künstlern treffen und danach ihre Heimreise antreten wird.
Ein pensioniertes Lehrerehepaar kann das Unterrichten nicht ganz lassen. So erfuhr sie etwas über Adventskranz, Weihnachtsmärkte und ein deutsches Abendessen mit Brot und Beilagen. Da es in Crailsheim einen asiatischen Lebensmittelladen gibt, gingen wir gemeinsam einkaufen. Xuan ist eine ausgezeichnete Köchin und so speisten wir drei Abende lang recht üppig wie in einem Chinarestaurant, zum Teil mit Stäbchen. Wir zeigten und erklärten ihr in Ellwangen die Bilder von Sieger Köder und die Wallfahrtskirche Schönenberg mit ihrer landschaftsartigen Krippe. Wir besichtigten das Würth-Museum Forum 2 in Gaisbach, wo sie vor allem die Sonderausstellung über Friedensreich Hundertwasser tief beeindruckte, danach das Zentrum von Schwäbisch Hall mit seinem Hällisch-Fränkischen Museum und der Johanniterkirche, zur Zeit mit Rimini-Altar. Das türkische Mittagessen dort war mir wichtig, damit sie sieht, dass es in demokratischen Ländern trotz aller in den Nachrichten verbreiteten Konflikte durchaus ein friedliches Miteinander verschiedener Kulturen geben kann und man keine diktatorische Struktur braucht, um eine gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten.
Xuan Tan : Friede Wohlwollen Hoffnung
Nun ist sie wieder weg und hinterlässt eine gewisse Leere, die wir hoffentlich mit E-Mail und WeChat ein wenig überbrücken können.
Für meine Frau und mich gezeichnet von Xuan Tan.
Nur für Xuan Tans Freunde auf WeChat sichtbar.
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